Anthroposophische Medizin

«Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erforschung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Naturerkenntnis ebenso wie diejenigen der gewöhnlichen Mystik durchschaut und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewusstsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen.» (Rudolf Steiner Gesamtausgabe, GA 35)

Anthroposophische Medizin ist eine integrative Medizin, die sich aus zwei Quellen speist: zum einen aus der naturwissenschaftlichen, konventionellen Medizin mit deren Methoden und Ergebnissen, zum anderen aus geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen.

Beides gehört untrennbar zusammen. Denn der Mensch besteht ja nicht nur aus einem Körper, sondern er hat auch eine Psyche und eine individuelle Persönlichkeit. Für anthroposophische Ärzte bilden körperliches und seelisches Leben gemeinsam mit der Individualität des Menschen eine Einheit, sie beeinflussen sich wechselseitig. Dies in Diagnostik und Therapie zu berücksichtigen, ist eine der wesentlichen Grundlagen Anthroposophischer Medizin.


Dabei ist sie keine „Alternativmedizin“ – sie will die konventionelle Medizin nicht ersetzen. Im Gegenteil – sie steht auf deren naturwissenschaftlicher Basis, geht dann aber noch einen Schritt weiter.

Das heißt: Die Anthroposophische Medizin setzt alles ein, was die naturwissenschaftliche Forschung an nützlichen Erkenntnissen bereit hält: Medizintechnik, Laborkontrollen, Medikamente, Operationen, Intensivmedizin. Darüber hinaus erfasst sie den Menschen aber auch als Subjekt in seiner Gesamtpersönlichkeit und in seinen Lebensbesonderheiten nach menschenkundlichen Gesetzmäßigkeiten.


Dazu gehören Körperbau und –sprache, Bewegungsfluss, Art des Händedrucks, Schlafverhalten, Wärme- und Kälteempfindlichkeit, Atmung, körperliche Rhythmen. Sie versucht also, zusätzlich zu den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten einer Krankheit das Charakteristische des jeweiligen Menschen in das weitere Vorgehen einzubeziehen. Denn jeder Mensch ist einzigartig und jede Behandlung ist es ebenfalls, auch wenn sie sich bei vielen Menschen ähnelt.

Anthroposophische Medizin ist deshalb nie pauschal. Sie vermeidet reine Routine. Auch wenn sich die Krankheitsbilder immer wieder gleichen, so bekommt doch jede Krankheit durch jeden Patienten ein eigenes Gesicht, das sich nicht von der Individualität des Patienten trennen lässt.

Anthroposophische Medizin fragt deshalb nach den körperlichen, aber ebenso nach den psychischen und persönlichen Voraussetzungen, die den krankmachenden Faktoren erst den Weg geebnet haben. Dies zu erkennen und therapeutisch umzusetzen, sich jedem Patienten neu zuzuwenden, geleitet von wissenschaftlichen Erkenntnissen, ärztlicher Erfahrung, persönlicher Urteilsfähigkeit und Intuition, ist ein wichtiges Charakteristikum Anthroposophischer Medizin. Denn eine Medizin, die den Menschen als Individuum ausklammert, ist keine Humanmedizin.


Therapeutisch nutzt die Anthroposophische Medizin einerseits Verfahren, bei denen sich der Patient passiv als Objekt überlässt (Operationen, allopathische Medikamente, Massagen), ergänzend wendet sie aber auch Methoden an, die ihn als aktiv handelndes Subjekt mit einbeziehen.

Dazu gehören vor allem die künstlerischen Therapien wie Sprachgestaltung, Musik, Malen, plastisches Gestalten sowie Eurythmie, Gesprächstherapie (Psychotherapie, Biographiearbeit), Ernährung, Bewegung, Physiotherapie und Entspannungsverfahren.

Die medikamentöse Therapie 


Die medikamentöse Therapie beruht zum einen auf der Gabe von Anthroposophischen Arzneimitteln auf natürlicher Basis, deren Komposition durch die typischen Charakteristika einer Krankheit bestimmt wird. Darüber hinaus werden Mittel gegeben, die sich an den individuellen Besonderheiten des Patienten orientieren. Dabei handelt es sich häufig um homöopathische und andere Medikamente, die die Eigenaktivität des Organismus, seine Selbstheilungskräfte, stimulieren sollen. Anthroposophische Ärzte achten dabei besonders darauf, welcher spezieller Anregungen der Organismus bedarf, um wieder gesund zu werden. So können beispielsweise Bitterstoffe aus der Wurzel des Gelben Enzians oder der Wegwarte die Abgabe von Verdauungssäften fördern und die Magen-Darm-Bewegungen anregen. Ätherische Öle aus Lippenblütlergewächsen wie Rosmarin und Lavendel können mit der ihnen eigenen Wärme die Durchblutung fördern und Muskelverspannungen lösen.

Darüber hinaus werden auch Mittel eingesetzt, die speziell auf eine Krankheit abgestimmt sind und deren Komposition sich an den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Krankheitsbildes orientiert. Dazu gehören sowohl Präparate aus pflanzlichen Gesamtextrakten als auch Zubereitungen mineralischen oder tierischen Ursprungs. Welche Mittel der Arzt wählt, ob als Gesamtextrakt oder in einer homöopathischen Potenz, richtet sich nach Art und Verlauf der Erkrankung sowie nach Symptomen, Beschwerden, Krankheitsdauer, Kräftezustand und Alter, vor allem aer auch nach der inneren und äußeren Aktivität des Patienten. Wo immer es unverzichtbar ist, werden aber auch konventionelle Medikamente wie Kortison oder Antibiotika eingesetzt. 

Anthroposophische Medizin ist so zeitgemäß, weil sie den Menschen in seiner gesamten Persönlichkeit umfassend berücksichtigt. Patienten wollen heute nicht mehr nur auf ihre Krankheit reduziert werden, sondern als Partner des Arztes respektiert und in die Therapie eingebunden werden. In einer Zeit, die immer mehr die Eigenverantwortung und Eigeninitiative des Einzelnen im Gesundheitswesen anmahnt, ist eine Medizin, die diese Aufgabe methodisch ernst nimmt, eine gesellschaftliche Notwendigkeit. In einer Zeit, die trotz pluralistischer Gesellschaft verstärkt verallgemeinert, pauschaliert und normiert, ist mehr denn je eine Medizin gefordert, die differenzierte, ganzheitliche Angebote macht und die Individualität des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Eine Medizin, die Patienten in die Lage versetzt, selbst mit zu entscheiden, welches therapeutische Vorgehen ihnen entspricht, um eine Krankheit zu überwinden und als Chance für die eigene Entwicklung zu verstehen. Gerade deshalb ist Anthroposophische Medizin heute so notwendig und zeitgemäß. 



Links zu informativen Webseiten

Anthroposophische Medizin – Goetheanum

ANTHROMEDIA - Internetportal Anthroposophie